Zeitgeist der Menstruation – gestern - heute – morgen: 19. Jahrhundert

in Blog
posted by: Manuela

Wie wurde die Menstruation zu alten Zeiten gesehen? Wie hat sich die Einstellung zur Regelblutung über die Jahrhunderte gewandelt und was ist gleich geblieben? Erlebe in diesem wie in den kommenden Blogartikeln eine kleine Zeitreise zum „Frauenblut“ durch die Jahrhunderte und Jahrtausende.

 

Frauenblut

 

19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert verschärft sich die Lage für die Menstruation. Nun wird auch die völlig natürliche, gesunde Menstruation per se als Krankheit definiert und zum monatlichen Unwohlsein und Leidenszustand degradiert. Ab sofort herrscht die Meinung, die Menstruation sei eine „verfehlte oder enttäuschte Schwangerschaft“[i] beziehungsweise „Ausfluss einer pathologischen weiblichen Sexualität“.[ii] Auch wird geglaubt, die Frau sauge das Blut, das sie verliert, dem Mann heraus.

 

Eigentlich ist ab sofort laut schulmedizinischer Definition die Frau an sich durch ihre Menstruation von Krankheit geprägt. Selbstständig, unabhängig, stark oder gar sexuell kann eine „normale“ Frau gar nicht sein, da diese als rein männliche Eigenschaften gelten. Da die Frau das Gegenteil vom Mann ist, ist es auch nicht möglich, dass sie wie er Lust beim Sex empfinden könnte. Zeigt eine Frau dennoch einen eigenen Kopf oder sexuelle Lust, muss es sich um einen krankhaften Zustand handeln, den es unbedingt zu unterdrücken gilt. Als Heilmittel werden Eierstöcke oder Klitoris entfernt. Denn wie die Tiere sollen auch Frauen durch Kastration fügsam, ordentlich, sauber und fleißig gemacht werden. Die letzte Klitoridektomie wird erst 1948 an einem fünfjährigen Mädchen in den USA durchgeführt, um ihre Masturbation zu heilen.

 

Dass die zivilisierte Frau der Oberschicht kein sexuelles Interesse hat, wird auf absurden Wegen versucht, wissenschaftlich zu beweisen. Die Theorie besagt: Je geringer die Schamlippen ausgeprägt sind, umso weniger Lust hat frau auf Sex. Als angeblicher Beweis, dass die schwarze Frau aufgrund ihrer größeren Schamlippen lustvoller als die weiße bürgerliche Frau ist, wird Sarah Baartman aus Südafrika als Hottentot-Venus“ um 1810 in England ausgestellt. Für den Mann begehrenswert sind aber die frigiden, verschlossenen Frauen. So entsteht neben der Norm für die richtig geformte Vulva auch die Normposition beim Geschlechtsverkehr. Am besten hat die Frau von Stand während des Aktes „ruhig dazuliegen und an das Empire zu denken“[iii], empfiehlt die britische Autorität. In der viktorianischen Zeit gilt der weibliche Orgasmus sowieso als überflüssig, wenn nicht sogar schädlich. Um die zartbesaiteten Ehegattinnen vor der Lust ihrer Männer zu schonen, werden Prostituierte besucht.

 

Genauso wie die brave Frau keine Sexualität hat, hat sie auch keine Genitalien. So überrascht es nicht, dass in der viktorianischen Zeit die weiblichen Geschlechtsorgane aus Anatomiebüchern verschwinden. Rebecca Chalker nennt dies den größten Raub aller Zeiten.

 

Gleichzeitig ist das 19. Jahrhundert aber auch eine Zeit wichtiger Erkenntnisse über den weiblichen Körper. 1827 entdeckt Karl Ernst Baer die weibliche Eizelle, genau 150 Jahre nach der mikroskopischen Entdeckung der männlichen Samenzelle. 1840 beschreibt Charles Négier erstmals Eisprung und Menstruation und 1841 kommt Adolf Alexanders „Physiologie der Menstruation“ heraus, in dem der Autor mehrere Versuche rund um das Menstruationsblut anstellt.

 

Es verwundert nicht, dass wir diese Zeit mit Ohnmachtsanfällen der Damen oder hysterischen Furien in Verbindung bringen. Laut der Historikerin Carroll-Smith-Rosenberg bleibt in einem dermaßen frauenverachtenden Umfeld nur der Ohnmachtsanfall als einzig sozial akzeptierte Ausdrucksform von Wut, Verzweiflung oder jeglichen Energieausbruch übrig.[iv] Die engen Mieder tun ihr Übriges. Sogar die Möbel werden dementsprechend designt, damit die Frauen bestmöglich in ihrem Ohnmachtsanfall aufgefangen werden und die schick geschmückte Riechflasche darf natürlich auch nicht fehlen. Jegliche Form von Aufbegehren ist sogleich ein hysterischer Anfall und dient den Ärzten und Wissenschaftlern als weiterer Beweis der geistigen Schwäche der Frau.

 

Alles Verdrängte wird zu einem Schattenanteil und erkämpft sich irgendwann wieder den Weg zurück ins Bewusste. So wird die Sexualität der „guten“ Frau auf der einen Seite zwar negiert. Leidet eine Frau aufgrund der verdrängten Lust jedoch an Hysterie, dem Gebärmutterwahnsinn, muss ihr aber auch irgendwie geholfen werden. Das Heilmittel der Wahl ist neben Hochzeit für unverheiratete Frauen sowie Schaukelstuhl und Pferderitte für Witwen die Beckenmassage für Wohlhabende, - heute würden wir neudeutsch Yoni-Massage dazu sagen. Die Massage soll einen „hysterical paroxysm“, also eine hysterische Krise, auslösen, der zur Heilung führen soll. Hinter diesem unschönen Ausdruck verbirgt sich nichts anderes als der weibliche Orgasmus. Da die armen Therapeuten vom sehr arbeitsintensiven Aufwand dieser Massagen erleichtert werden sollen, werden um 1880 die ersten „elektrischen Modelle für die sexuelle Gesundheitshilfe“ entwickelt. Die ersten Vibratoren waren also therapeutische Hilfsmittel und der Orgasmus das Heilmittel gegen die Hysterie schlechthin. Das erinnert an den Rat Hippokrates an hysterische Mädchen dringend zu heiraten, da die Hysterie bei Ehefrauen seltener vorkomme. Spielte er etwa darauf an, dass diese mehr Orgasmen haben als Unverheiratete?

 

1878 prägt der österreichische Psychiater Krafft-Ebing die „Lehre vom periodischem Irresein“. Da das weibliche Nervensystem schwächer sei als das des Mannes, muss die Menstruation DAS Ergebnis einer chronischen Überreizung des Nervensystems und eine Art pathologischer Krampferscheinungen sein.[v] Der Psychoanalytiker Otto Fenichel greift 1897 die Idee der Unreinheit auf und bezeichnet die Menarche als erste Beschmutzung.[vi]

 

Da die bürgerliche Frau (geistig) schwach ist, soll sie während Menstruation, Schwangerschaft und Menopause möglichst viel liegen. Manch Unglückselige bleibt so ihr ganzes Leben ans Bett gefesselt. Ganz unrichtig ist diese viktorianische Vorstellung der Menstruation aber auch wieder nicht, denn wie wir heute wissen, ist Ruhe ein wichtiger Faktor für das menstruelle Wohlbefinden. Die Frau sollte aber frei wählen können und nicht als Kranke behandelt werden.

 

Ärmere Frauen aus der Arbeiterklasse müssen sich hingegen nicht hinlegen. Ihnen kann es zu jedem Zeitpunkt ihres Zyklus zugemutet werden, pro Tag 16 bis 18 Stunden hart zu schuften. Ob arm oder reich, bei Wahlen darf keine Frau ihre Stimme abgeben, denn dazu ist ihr entweder die Gebärmutter im Weg oder ihr weibliches Gehirn auf keinen Fall ausgereift genug.

 

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert ist es ganz normal, dass Frauen ohne jegliche Aufklärung zu Menstruation und Sexualität aufwachsen und in die Ehe gehen. Simone de Beauvoir beschreibt eine Frau aus dem 19. Jahrhundert, die ihren Mann für geistesgestört hielt, als er sie auf der Hochzeitsreise deflorierte. Aus Angst, sie habe einen Verrückten geheiratet, sagte sie kein Wort.

 

Auch denken viele bei ihrer Menarche, sie würden verbluten oder hätten eine schwere Krankheit. Mary Jane Sherfey erzählt, wie der Onkel einer Freundin ihr gesagt habe, dass die Menstruation das Übriggebliebene von einem Baby sei. Durch Sex würde dieses Baby befruchtet und die Frau schwanger werden, wenn nicht, stirbt es und die Regel kommt. Sie konnte nicht verstehen, wie Gott so etwas mit Frauen machen konnte. Er konnte sie wohl nicht recht mögen. Wer jetzt immer noch meint, dass diese Vorstellung gar nicht so unrichtig ist, bedenke bitte, dass nicht das (unbefruchtete) Ei bei der Menstruation abgeht, sondern die Gebärmutterschleimhaut. Und selbst wenn es das Ei wäre, niemand würde vergleichsweise auf die Idee kommen, Ejakulat als eine Lacke voller verschwendeter Babys zu bezeichnen.

 

Die Vorstellung ist also ab sofort, Menstruationsblut mache Frauen wahnsinnig, ver-rückt, genauso wie Selbstbefriedigung zum Masturbationsirresein führt und der alleinige Fakt, einen Uterus zu besitzen, Hysterie bedingt, den Gebärmutterwahnsinn. Menstruation wird zur Geisteskrankheit.

 

Schon unvorstellbar, diese Ansichten, aber gar nicht so unwahr, wenn frau sich den Begriff „menstruelles Irresein“ genauer ansieht: Neben „irren“ und „verirren“ geht irre auch auf die indogermanische Wurzel „er(ə)s“, also „rasend, sich schnell bewegend“ zurück, woraus „zornig“ wurde und im Neuhochdeutschen „verwirrt“ und „unberechenbar“. Umgangssprachlich wird irre mittlerweile sogar als „aufregend“, „toll“, „besonders“ und dergleichen verwendet.

 

Auch die Mondsucht geht auf „aufgeregt“ und „rasend“ zurück und bedeutete ursprünglich zeremonielles Verhalten bei Mondfesten. Wenn frau an eine von der Gesellschaft vorgegebene Norm angepasst und unfrei lebt, muss sie ihr wahres Ich unterdrücken. Dieses verschwindet aber nicht, sondern wird nur in die tiefsten Gründe ihres Seins zurückgedrängt. Ähnlich eines schlafenden Vulkans schlummert es in ihrem Unbewussten vor sich hin und wartet geduldig auf die Zeit, in der sich die Schleier zwischen bewusster und unbewusster Welt lüften. Dies ist die Zeit, in der sie nicht ganz dicht, sondern durchlässig ist. Die Zeit während der Menstruation, wenn wir unsere Lügen nicht mehr aufrechterhalten können, wenn unsere Wahrheit wie ein Vulkan aus uns hervorbricht. Dann verwundert es nicht, wenn wir als rasend und zornig erscheinen. Für die anderen flippen wir aus, rasend uns schnell bewegend, denn die Zeit hat nun eine andere Qualität für uns. Vielleicht sind wir selbst verwirrt und verirrt, da wir den Kontakt zu unserer Urkraft für so lange Zeit verloren hatten. Wir sind aufgeregt und aufregend, besonders in unserer Kraft. Unberechenbar sind wir, denn unsere Naturgewalt lässt sich nie lange bändigen.

 

Mehr zur Geschichte der Menstruation:

Prähistorisches und Altes Ägypten

Antike

Mittelalter

Neuzeit

 

Weiteres zum Thema „Menstruation“ sowie eine Menge alternativer Heilmittel für die Mondblutung gibt es in meinem Buch „Frauenblut – Dein Ratgeber für die Menstruation“ zu finden. Erscheinungstermin ist der 17. Juni 2021.

 

 


[i]         Barnes, Robert, zitiert nach: Fischer-Homberger: Krankheit Frau, S. 56.

[ii]        Remark, Robert, zitiert nach: Fischer-Homberger: Krankheit Frau, S. 54.

[iii]       Blackwell, Elisabeth, zitiert nach: Lowndes Sevely, Josephine: Evas Geheimnisse. Neue Erkenntnisse zur Sexualität der Frau. Knaur. 1990, S. 12.

[iv]       Ewert, Christiane & Karsten, Gaby: Hexengeflüster. Frauen greifen zur Selbsthilfe. Orlanda Frauenverlag. 1994.

[v]        Fischer-Homberger: Krankheit Frau.

[vi]       Delaney u.a.: Menstruation.