Zeitgeist der Menstruation – gestern - heute – morgen: 20. Jahrhundert

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posted by: Manuela

Wie wurde die Menstruation zu alten Zeiten gesehen? Wie hat sich die Einstellung zur Regelblutung über die Jahrhunderte gewandelt und was ist gleich geblieben? Erlebe in diesem wie in den kommenden Blogartikeln eine kleine Zeitreise zum „Frauenblut“ durch die Jahrhunderte und Jahrtausende.

 

Frauenblut

20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert geht es nicht viel besser weiter. 1900 erscheint das Essay des Neurologen und Psychiaters Paul Julius Möbius „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Krafft-Ebing bringt 1902 sein Werk „Psychosis Menstrualis: Eine Klinisch-Forensische Studie“ heraus, die Menstruation macht laut ihm also psychotisch. In einem schottischen medizinischen Text ist zu lesen: „Oh! Menstruierende Frau, du bist ein Feind, von dem alle Natur streng abgeschirmt werden sollte.“[i]

 

Die Menstruation wird als Grund angeführt, warum Frauen keine Ärztinnen, Anwältinnen oder gar theologische Expertinnen werden können, - in Österreich wurden Frauen erst 1900 zum Medizin-, 1919 zum Jusstudium zugelassen. Ab 1928 durften sie an die evangelisch-theologischen und erst ab 1945 an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien studieren, also noch nicht einmal hundert Jahre.

 

Für den Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud stehen die Neurosetheorie und der Penisneid im Vordergrund. Der Mann ist aktiv, die Frau passiv, da aber der klitorale Orgasmus für Freud auch ein aktiver ist, bedeutete es, dass eine echte, weibliche Frau den klitoralen, kindlichen, unreifen Orgasmus überwinden muss, um zum vaginalen, also erwachsenen und reifen Orgasmus zu gelangen. Dass die Klitoris aber zum größten Teil ein innerliches Organ ist und ihre Schenkel direkt an die Vagina angrenzen und damit jeder vaginale Orgasmus auch gleichzeitig ein klitoraler ist, hat Freud geflissentlich ausgelassen. Nun ist die Frau also nicht (nur) aufgrund ihrer Gebärmutter geisteskrank, sondern (auch) aufgrund des ihr fehlenden Penis. Hach, wie viel Geld lässt sich nun mit den armen Patientinnen machen!

 

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind Frauen also endlich zum Medizinstudium zugelassen. Und sie vertreten eine andere Meinung. Die Psychiaterin Mary Jane Sherfey stellte die Vermutung in den Raum, ob die sexuellen Neurosen der Frauen nicht in Wirklichkeit erst durch die Ärzte, die sie behandeln wollen, entstünden. Die amerikanische Ärztin und Sexualforscherin Clelia Duel Mosher klärte in ihrem Buch „Health and the woman movement“ (Gesundheit und Frauenbewegung) 1918 auf, dass die aktuelle Mode mit ihren schweren Röcken und engen Korsetts in direktem Zusammenhang mit Krämpfen während der Menstruation steht.

 

Die deutsch-amerikanische Psychoanalytikerin Karen Horney findet den von Freud geprägten Penisneid unbegründet und sieht ihn demnach auch nicht als Grund für menstruelle Beschwerden. 1932 referiert sie über Ursachen prämenstrueller Verstimmungen. Im selben Jahr wird auch die erste längere psychologische Untersuchung zur Menstruation von Mary Chadwick veröffentlicht.

 

Das 20. Jahrhundert ist auch das Zeitalter des „Menotoxins“. Dabei soll es sich um ein Menstruationsgift handeln, das im Blut und auch allen anderen Ausscheidungen der Frau (wie z.B. Schweiß) während ihrer Tage vorkommen soll. Der Kinderarzt Bela Schick will 1920 gezeigt haben, dass frisch aufgeblühte Rosen, die für zehn Minuten in die Achselhöhle einer menstruierenden Frau gelegt werden, nach einigen Stunden zugrunde gehen. Auch Hefeteig würde nach Berührung einer Menstruierenden nicht mehr aufgehen. Nicht nur für Pflanzen und Tiere sei das Gift schädlich, es könne auch zu einer Autointoxikation kommen. In einem Inserat vermutlich aus 1930 bis 1940 liest frau: „Das Gift in Ihrem Blute kostet Jahre Ihres Lebens!“[ii] 1958 wird von Karl Johann Burger wissenschaftlich bewiesen, dass Menotoxin nicht existiert. Erschreckend ist, dass sich der Mythos weiterhin hält und noch 1979 über seine Existenz diskutiert wurde!

 

Eine renommierte Fotofirma in Baden-Württemberg macht in den 1960er Jahren den Menstrualschweiß ihrer Mitarbeiterinnen für schwarze Flecken auf den entwickelten Bildern verantwortlich und die betroffenen Frauen werden entlassen. (Mittlerweile wissen wir gottseidank, dass Menstruationsblut alles andere als toxisch wirkt und beispielsweise einen wunderbaren Pflanzendünger abgibt.)

 

Dies ist aber nicht die einzig absurde Theorie zur Menstruation. Fliess und Schiff prägen 1901 die Theorie der nasalen Dysmenorrhoe, einer Blutfülle der Nasenschleimhäute während der Menstruation. Basis dafür ist die von ihnen entdeckte Reflexwirkung von Nase auf Uterus beim Hund. Behandelt wird diese Störung, wie kann es für diese Zeit anders sein, mit Kokain. Weitere Therapien gegen Regelbeschwerden sind die Behandlung mit Röntgenstrahlen oder Blutegel, die in die Gebärmutter eingesetzt werden.

 

Zur selben Zeit gilt das Radfahren für Frauen als gefährlich und gesundheitsschädigend. Es soll Menstruation und Ausfluss verstärken sowie die Geburt erschweren. Die Frauen lassen sich dadurch aber Gott sei Dank nicht einschüchtern und es dauert nicht lange bis das „Velo“ zum Zeichen der Frauenemanzipation avanciert.

 

Eine Untersuchung von Maria Tobler in den 1920er Jahren ergibt, dass nur 15 Prozent der Frauen während ihrer Tage beschwerdefrei sind.[iii] Bis in die 1920er herrscht übrigens auch noch immer der Glaube, dass der Eisprung zur selben Zeit wie die Menstruation stattfindet. Die Ursache, sagt sie, sei noch nicht ganz klargestellt. Erst der Wiener Hermann Hubert Knaus und sein japanischer Kollege Kyusaku Ogino finden in den 1920er Jahren unabhängig voneinander heraus, zu welchem Zeitpunkt der Eisprung stattfindet und dass die Eizelle nur für kurze Zeit befruchtbar ist. Um die Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut exakt beschreiben zu können, müssen erst weitere 20 Jahre vergehen.

 

1931 macht der Hormonforscher Robert T. Frank auf die prämenstruelle Spannung aufmerksam und in der NS-Zeit werden Frauen und Mädchen gar anhand ihrer Eierstöcke klassifiziert, und zwar in eierstockstabile, -labile und -debile Frauen.

 

Obwohl sich sogar Walt Disney für die Aufklärung rund um die Menstruation einsetzt und 1946 einen zehnminütigen Informationsfilm für die Schule macht, stürzt sich im selben Jahr ein Mädchen aufgrund ihrer Menarche in die Seine, da sie glaubte, sie hätte eine unbekannten Krankheit.

 

In den 1950er Jahren ist es dann endlich soweit, dass der Mythos der Hysterie als reine Frauenkrankheit ein Ende findet. Es wird gezeigt, dass deutlich mehr Männer als Frauen an Hysterie und von diesen herrührenden Geisteskrankheiten leiden (Verhältnis 7:1). Dies hatte eh nur fast 300 Jahre gedauert, obwohl schon 1616 der Arzt Charles Le Pois die Symptome der Hysterie auch bei Männern beobachtet hatte.

 

In England ist es bis 1970 untersagt, das immer noch tabuisierte Wort „Menstruation“ in BBC Ausstrahlungen oder in der Zeitung zu erwähnen. Katharina Dalton erzählt von der ersten ihr bekannten Erwähnung in einer nicht-medizinische Zeitung: ein Bericht der Radio Times über ihren Auftritt in einer Sendung von BBC Radio über Schulmädchen und Menstruation. Der Redakteur wollte den Titel auf „Schulmädchen und der Fluch“ oder „Schulmädchen und diese Zeit des Monats“ ändern. Nach viel Überredung stimmte er doch dem Begriff „Menstruation“ zu, nur um diesen dann falsch zu schreiben.

 

1971 provoziert die amerikanische Feministin Germaine Greer mit dem Spruch: „Wenn Du glaubst, du bist emanzipiert, stell dir mal vor, dein eigenes Menstrualblut zu kosten - wird Dir schlecht, hast Du noch einen langen Weg vor dir, Baby.“[iv] Welcher jetzt ekelt, sollte sich kurz vorstellen, ob sie sich auch davor grausen würde, bei einer kleinen Schnittwunde das eigene Blut vom Finger zu lecken.

 

1974 existieren nur acht wissenschaftliche Fachartikel zur Dysmenorrhoe auf der ganzen Welt. Zur selben Zeit lassen sich etliche amerikanische Frauen die Gebärmutter als letzte Therapie gegen Menstruationsschmerzen entfernen.

 

1980 wird im Filmklassiker „Die blaue Lagune“ einer ganzen Generation von jungen Mädchen der „natürliche“ Umgang mit der Menstruation nahegebracht. Als die Hauptperson Emmeline beim Baden unter einem Wasserfall ihre Menarche hat, verwandelt sich die malerische Szene schnell in einen Horrorfilm. Rund um sie verfärbt sich das Wasser rot, in einer Menge als ob ihr ein Hai beide Beine weggerissen hätte. Verzweifelt schreit sie um Hilfe: „Richard, Hilfe, Hilfe!“ Während dieser schnell wie der Blitz als ihr Retter in der Not angeeilt kommt, wird ihr klar, dass es sich hier nicht um „normales“ Blut handelt, sondern um das schmutzige, geheime Frauenblut, das es zu verstecken gilt, - vor allem vor den Augen ihres Gefährten. Sie vertreibt einen völlig verwirrten Richard mit den Worten „Geh weg, sieh mich nicht an“. Fertig ist das Tabu.

 

Damit es nicht allen Mädchen so ergehen muss wie Emmeline, liefert der bekannte deutsche Gynäkologe Prof. Fritz K. Beller 1981 die Lösung für das Problem Menstruation, welche „einer der wenigen Irrtümer der Natur ist“: Hormonpräparate.[v]

 

Ganz im Sinne des Zeitgeistes sind nun nicht mehr die Gebärmutter, Eierstöcke oder Klitoris am jeglichen unangepassten Verhalten der Frau schuld, sondern ihre hormonellen Schwankungen. Immerhin passiert in der prämenstruellen Phase laut eines Zeitungsartikels im Hamburger Abendblatt vom 26.2.1985 Folgendes: „Viele werden zu wilden Tieren.“[vi]

 

Um Frauen untenrum völlig sauber und rein zu halten, erobern Intimsprays den Markt. Sie sind für dich geeignet, „wenn du richtig Frau sein willst“.[vii] Ohne Spray sind wir also keine richtige Frau?!

 

1991 hält ein Professor der Rechtswissenschaft an der Uni Mainz die menstruierenden Studentinnen dazu an, sie „sollten sich doch bitte in die letzte Reihe setzen, er könne bei dem Gestank nicht arbeiten“.[viii]

 

Zwei Jahre später sorgt die Künstlerin Jenny Holzer im Magazin der Süddeutschen Zeitung für Aufregung. Leider weniger für den gesellschaftskritischen Inhalt des Artikels, sondern für die Tinte, die dafür verwendet wurde. Denn die Schlagzeile am Titelblatt „Da wo Frauen sterben, bin ich hellwach“ war mit Menstruationsblut geschrieben worden. Ein paar wenige Milliliter Mensisblut sorgten also für weit mehr Leserbriefe und Empörung als Sexualmord an Frauen.

 

Mehr zur Geschichte der Menstruation:

Prähistorisches und Altes Ägypten

Antike

Mittelalter

Neuzeit

19. Jahrhundert

 

 

Weiteres zum Thema „Menstruation“ sowie eine Menge alternativer Heilmittel für die Mondblutung gibt es in meinem Buch „Frauenblut – Dein Ratgeber für die Menstruation“ zu finden. Erscheinungstermin ist der 17. Juni 2021.

 


[i]         Pearsall, Robert, zitiert nach: Walker: Das geheime Wissen der Frauen, S. 707.

[ii]        Fischer-Homberger: Krankheit Frau, S. 46.

[iii]       Hering & Maierhof: Die unpäßliche Frau.

[iv]       Zitiert nach: Gould Davis, Elisabeth: Am Anfang war die Frau, S. 143.

[v]        Zitiert nach: Blume & Schneider, Die Regel, S. 50.

[vi]       Zitiert nach: Reuße & Holler: Menstruation, S. 30.

[vii]      Zitiert nach: Wielopolska, Brita & Petersen, Anette (Hg.): Frau. Ein Handbuch über Sexualität, Verhütung und Abtreibung, Schwangerschaft, Geburt, Körper und Krankheit, Klimakterium und Alter. Frauenbuchverlag. 1982, S. 221.

[viii]     Zitiert nach: Hering & Maierhof: Die unpäßliche Frau, S. 138.